»Nimm Dich doch mal zusammen!«
Im Zusammenhang mit Gesundheit, bei Auseinandersetzungen oder allgemein immer dann, wenn Emotionen auftreten, ist das ein frommer Wunsch. Im Alltag erwünscht ist eine emotionale Distanz, dieser Wunsch ist aber nicht realistisch.
Gerade bei Gesundheit und Krankheit sind Emotionen bedeutsam und allgegenwärtig. In der Vergangenheit spielten Emotionen im Alltag eine geringe Rolle, die Erziehung war weitgehend darauf gerichtet, dieser Seite der menschlichen Reaktionen keinen Raum zu geben (»Indianer weinen nicht«, »Du Heulsuse, Du verhältst Dich ja wie ein Mädchen«). Da hat sich einiges geändert, trotzdem fällt es vielen Menschen auch heute noch sehr schwer, Gefühle als Teile ihrer Interaktion zu akzeptieren.
Entstehen zwischen Menschen Konflikte, so liegt das zum Einen daran, dass die Beteiligten etwas für sich reklamieren, was nicht beide gleichzeitig erreichen können. Zum Anderen treten bei den Konfliktparteien Empfindungen auf. Diese Empfindungen sind immer persönlich, sie treffen im Individuum auf spezifische Erinnerungen und sie können von außen nicht in Frage gestellt oder abgelehnt werden. Der Betreffende hat genau diese Empfindung, wenn er auch nicht weiß, warum. Und diese Empfindung wirkt, auch wenn der Andere sie nicht nachvollziehen oder teilen kann! Faktisch liegt in dieser Diskrepanz die wesentliche Störung im sozialen Miteinander begründet: Viele Auseinandersetzungen, die im Zusammenhang mit Konflikten stattfinden, beschäftigen sich damit, ob die Handlungen des Anderen nachvollziehbar und seine Empfindungen berechtigt sind!
Kommen Fragen der Gesundheit dazu, sind Gefühle noch bedeutsamer. Und damit ist auch die Neigung zur Eskalation größer. Die »falsche« Reaktion des Anderen führt zu Abwendung, Zurückweisung, Empörung bis hin zu Diffamierung … Woran liegt das: An dem vermeintlichen Wissen, was Gesundheit bedeutet (es ist vielfach völlig unbekannt, dass ein unterschiedliches Gesundheitsverständnis u.U. zur Unmöglichkeit eines Miteinanders führen kann), an der Überzeugung, dass die eigenen Empfindungen richtig sind im Vergleich zu denen des Anderen, an der Annahme, dass die vom Anderen erwarteten Reaktionen auch stattfinden müssen. »Denn anders kann das ja nicht gehen.«
Im familiären (und beruflichen) Kontext geschieht durch das Auftreten von Krankheit etwas Unerhörtes: Eine eingespielte Gruppe von Menschen mit ihren Rollen und Mustern gerät durch ein unerwartetes Ereignis durcheinander. Das Auftreten der Krankheit betrifft den Einen, die Gruppe wird in ihrer Gesamtheit erschüttert. Es müssen Wege und Anpassungen gefunden werden, wie es in der Zukunft weitergehen soll. Jeder erlebt da auch emotionale Reaktionen zwischen Ärger und Mitleid. Diverse Emotionen sind im Zusammenhang tabu, alle Beteiligten geraten in Stress.
In dieser Gemengelage ist, für Fachleute selbstverständlich, die Gruppe kaum beschlussfähig, die Gefühle dominieren das Denken, der Bewältigungsprozess ist unterschiedlich fortgeschritten, Empfindungen von Verantwortung differieren, der Umgang mit dem Neuen ist noch angestrengt und belastend. Und in einer solchen Situation müssen Entscheidungen getroffen werden, die zum Teil existentiell, wirtschaftlich relevant oder persönlich belastend sind.
Für die Entscheidungen rund um die Krankheit des Betroffenen sind die Fachleute und Berater des medizinischen Systems zuständig. Um die Belange und Empfindungen des Betroffenen und seiner Angehörigen muss sich auch jemand kümmern, da Stress und Gefühle den geregelten Entscheidungsprozess stören: Der spezialisierte Mediator.